Projekt Pseudoisidor

Pseudoisidor

Capitula Angilramni

Collectio Danieliana

Pseudoisidor Teil I

Pseudoisidor Teil II

Pseudoisidor Teil III

 Handschriftenklasse L

Inhaltsverzeichnis

Handschriftenklasse C

III.5. Handschriftenklasse B

Handschriftenklasse B ist eine vermutlich relativ junge Ableitung der ersten Gruppe von Handschriftenklasse A. Vor der Mitte des 12. Jahrhunderts sind weder Handschriften dieser Klasse nachzuweisen noch ist irgendeine vor dieser Zeit liegende Benutzung einer Handschrift dieser Klasse bekannt. Auch in der Textqualität reicht Klasse B nicht an die wohl noch unter dem unmittelbaren Einfluß der Fälscherwerkstatt stehenden Klassen A, K und L heran. Die von Hinschius gewählte Klassenbezeichnung B wurde beibehalten. Die Klasse umfaßt sieben Handschriften, wobei sich zwei Gruppen von vier bzw. drei Handschriften unterscheiden lassen.

Gruppe 1

Gruppe 1 umfaßt folgende Handschriften:

52. Boulogne-sur-Mer, Bibl. municipale 115, s. XII (ca. 1145-1152)[1]

Die Handschrift ist von dem Mönch Helye im Kloster St. Bertin in Saint-Omer geschrieben, wie aus dem in der Handschrift f. 302r [2] enthaltenen Gedicht hervorgeht.[3] Die CA stehen zwischen der römischen Synode von 721 unter Gregor II. (JE nach 2158) und den Exceptiones ex diversis constitutionibus de rebus ecclesiasticis.[4]

53. Douai, Bibl. municipale 583, s. XII (ca. 1138-1143)[5]

Die Handschrift stammt nach A. Boutemy aus dem Kloster Anchin.[6] Vielleicht handelt es sich um den Codex, den Boetius Epo (+1599) gekannt hat.[7] Die Handschrift ist am Schluß stark beschädigt und überliefert die CA nur fragmentarisch. Sie stehen im gleichen Kontext wie in Handschrift 52.

54. Paris, Bibl. nat. lat. 14314, s. XII (ca. 1138-1143)[8]

Die Handschrift ist nicht in Saint-Victor-de-Paris geschrieben, wie L. Delisle annahm,[9] sondern dieser Abtei erst von Abt Jean Lamasse (1448-1456) geschenkt worden. Aufgrund der Illuminierung der Handschrift vermutet Sch. Williams, der Codex sei in Nordfrankreich geschrieben worden. Die CA stehen im gleichen Kontext wie in Handschrift 52. Interessant sind zahlreiche Merkzeichen und Glossen, die anscheinend im Zusammenhang mit der konziliaristischen Diskussion im letzten Drittel des 14. Jahrhunderts angebracht wurden.

55. Vatikanstadt, Bibl. Apostolica Vaticana, Vat. lat. 631, 2 Bände, s. XIII4/4[10]

Die Handschrift ist ausweislich einer bis zu Johannes XXI. (1276-1277) reichenden Papstliste nicht vor 1276 geschrieben, und es spricht nichts dagegen, die Niederschrift des Codex in die Jahre 1276/77 zu datieren. Die Handschrift stammt aus Frankreich und gehörte vermutlich dem Kardinal und Erzbischof von Rouen Pierre Roger, dem späteren Papst Clemens VI. (1342-1352). Die CA, die hier durch einen Zusatz zu der in Klasse B üblichen Rubrik (Incipiunt capitula collecta ex diversis conciliis sive decretis Romanorum pontificum ab Agilramno Metensi episcopo et Adriano pape oblata) als Copulatio canonum bezeichnet sind, stehen im gleichen Kontext wie in Handschrift 52.

Gruppe 2

Gruppe 2 umfaßt folgende Handschriften:

56. Boulogne-sur-Mer, Bibl. municipale 116, 2 Bände, s. XII (ca. 1159/1160)[11]

Die Handschrift stammt nach einem von L. Delisle publizierten Bibliothekskatalog, der in dieser Handschrift überliefert ist,[12] aus St.-Martin-de-Tournai, von wo aus die Handschrift zunächst in die Dombibliothek von Arras und schließlich nach der französischen Revolution nach Boulogne kam. Die CA stehen im gleichen Kontext wie in Handschrift 52.

57. Douai, Bibl. municipale 582, 2 Bände, s. XII (ca. 1159/1160)[13]

Die Handschrift stammt aus Marchiennes und ist von Andreas von Marchiennes geschrieben.[14] Die CA stehen im gleichen Kontext wie in Handschrift 52. C. 18 fehlt vermutlich aufgrund eines Versehens wegen des übereinstimmenden Anfangs von c. 18-20 (jeweils Placuit ut).

58. Paris, Bibl. nat. lat. 3853, s. XII (ca. 1145-1149)[15]

Die Handschrift stammt aus St.-Amand und kam über die Bibliothek von Erzbischof Charles Le Tellier von Reims (+1710) in die Bibliothèque royale. Die CA stehen im gleichen Kontext wie in Handschrift 52.

Die Einteilung der B-Handschriften in zwei Gruppen ergibt sich aus folgenden Beobachtungen: Die Handschriften der Gruppe 2 haben c. 24 in zwei Kapitel unterteilt (bei Nec prius litigantibus, Z. 133); zudem finden sich folgende gruppentypische Lesarten:

 

Gruppe 1

Gruppe 2

Z. @@@: ut

fehlt

Z. @@@: sibi

fratri

Z. @@@: iniuriosa

iniuriare

 

Folgende Merkmale sind allen Handschriften der Klasse B gemeinsam: Die CA sind in Kapitel eingeteilt, außer in Handschrift 55 findet sich überall auch eine durchgehende Kapitelzählung.

Folgende Leitvarianten sind den B-Handschriften gemeinsam:

Die Rubrik, die die CA Angilram von Metz zuschreibt (siehe oben S. @@@); Z. @@@: auctores] doctores; Z. @@@: deferre] defendere; Z. @@@: conciliorum] conciliorum patrum; Z. @@@: sedes] fehlt; Z. @@@: rogetur] negetur; Z. @@@: redintegrentur] redintegrentur nec; Z. @@@: nisi] si non eum; Z. @@@: pulsatur] pulsatus est; Z. @@@: metropolitanus] metropolitanus episcopus; Z. @@@: et - plena] ordinem plenum; Z. @@@: adiciendique] audiendique; Z. @@@: metropolitanum] metropolitanum episcopum; Z. @@@: accusato - liceat] accusatus - licentiam habeat; Z. @@@: implicantur] appellantur; Z. @@@: extra] fehlt; Z. @@@: teneatur] habeatur; Z. @@@: discernit] diiudicat; Z. @@@: det - aliquam] de accusatione aliqua audiatur; Z. @@@: infamia notantur] infames adnotantur.

Alle Handschriften der Klasse B, deren Provenienz sich näher bestimmen läßt, stammen aus Nordfrankreich. Es ist daher wahrscheinlich, daß Klasse B in Nordfrankreich entstanden ist. Der kanonistische Einfluß ist gering gewesen, was wohl auch damit zusammenhängt, daß Klasse B in größerem Umfang erst etwa gleichzeitig mit dem Dekret Gratians (ca. 1140) oder erst danach verbreitet wurde. Keine der von uns untersuchten Kanonessammlungen scheint eine Handschrift der Klasse B herangezogen zu haben.[16]

Angesichts des geringen Einflusses dieser Klasse und der nicht bedeutenden Textqualität ist bei der Edition nur eine Handschrift berücksichtigt worden. Die textlichen Abweichungen zwischen Gruppe 1 und 2 sind gering. Gruppe 1 steht aber der ursprünglichen Kapiteleinteilung näher als Gruppe 2. Es empfiehlt sich daher eine Handschrift der Gruppe 1. Da Handschrift 54 (Paris, Bibl. nat. lat. 14314) im 14. Jahrhundert vielleicht einen gewissen Einfluß ausgeübt hat,[17] wurde diese Handschrift herangezogen.


[1] Vgl. Williams, Codices, S. 10 f.

[2] Abgedruckt von Michelant, Catalogue général 4, 1872, S. 644 f.

[3] Vgl. Boutemy, Un trésor, S. 118.

[4] Ed. Schon, http://www.pseudoisidor.de/html/113_concilium_toletanum_viii.htm am Ende (ed. Hinschius, S. 394b-397b), vgl. ebd., S. LX. Hinschius' Vermutung, dass diese kleine Sammlung nicht auf die pseudoisidorischen Fälscher zurückgeht wird dadurch bestätigt, dass sie bereits Bestandteil der HG ist (Wien Österreichische Nationalbibliothek 411, f. 149r – 152r).

[5] Vgl. Williams, Codices, S. 19 f.

[6] Vgl. Boutemy, Un trésor, S. 119, Anm. 3, der hier wie in Handschrift 51 den Mönch Helye als Schreiber vermutet. Ein Schriftvergleich macht diese Vermutung unwahrscheinlich.

[7] Vgl. Williams, Codices, S. 19 und Maassen, Geschichte der Quellen und Literatur des canonischen Rechts im Abendlande 1, 1870, S. XXXVI.

[8] Vgl. Williams, Codices, S. 46 f.

[9] Vgl. Delisle, Cabinet des manuscrits 2, S. 187 f.

[10] Vgl. Williams, Codices, S. 65.

[11] Vgl. ebd., S. 11 f.

[12] Vgl. Delisle, Cabinet des manuscrits, S. 487 ff.

[13] Vgl. Williams, Codices, S. 17 ff.

[14] Vgl. Dehaisnes, Catalogue général 6, S. 362 und Boutemy, Un trésor, S. 119. Die Angabe von Williams, Codices, S. 19 f., Dehaisnes und Boutemy wiesen die Handschrift dem Scriptorium von St.-Bertin zu, beruht auf einem Mißverständnis.

[15] Vgl. Williams, Codices, S. 41 f.

[16] Siehe unten S. @@@.

[17] Siehe oben S. @@@.

© 2005 Karl-Georg Schon
Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Er steht unter der GNU Free Documentation License.
Demnach dürfen Sie ihn frei weiter verbreiten und bearbeiten, vorausgesetzt Sie nennen den Namen des ursprünglichen Autors und Sie geben auch anderen das Recht den von Ihnen bearbeiteten oder verbreiteten Text unter den gleichen Bedingungen weiter zu verbreiten. Im einzelnen finden Sie Bestimmungen der GNU Free Documentation License unter dem Menüpunkt Lizenz.

Zuletzt geändert am 6.7.2005

[Home] [Überblick] [Text] [Übersetzungen] [Capitula Angilramni] [CA und die Fälschungen] [Bischofsprozess] [Überlieferung] [Rezeption] [Editionsgeschichte] [Zur Ausgabe] [Text] [Collectio Danieliana] [Lizenz] [Kontakt] [Links] [Impressum] [Inhalt]