III.5. Handschriftenklasse B
Handschriftenklasse B
ist eine
vermutlich
relativ junge Ableitung der ersten Gruppe von Handschriftenklasse A.
Vor der
Mitte des 12. Jahrhunderts sind weder Handschriften dieser Klasse
nachzuweisen
noch ist irgendeine vor dieser Zeit liegende Benutzung einer
Handschrift dieser
Klasse bekannt. Auch in der Textqualität reicht Klasse B nicht
an
die wohl noch
unter dem unmittelbaren Einfluß der
Fälscherwerkstatt
stehenden Klassen A, K
und L heran. Die von Hinschius
gewählte
Klassenbezeichnung B wurde beibehalten. Die Klasse umfaßt
sieben
Handschriften,
wobei sich zwei Gruppen von vier bzw. drei Handschriften unterscheiden
lassen.
Gruppe 1
Gruppe 1
umfaßt folgende
Handschriften:
52. Boulogne-sur-Mer,
Bibl.
municipale 115, s. XII
(ca. 1145-1152)
Die Handschrift ist
von dem
Mönch Helye im
Kloster St. Bertin in Saint-Omer geschrieben, wie aus dem in der
Handschrift f.
302r
enthaltenen Gedicht hervorgeht.
Die CA stehen zwischen der römischen Synode von 721 unter
Gregor II. (JE nach 2158) und
den
Exceptiones ex
diversis constitutionibus de rebus ecclesiasticis.
53. Douai,
Bibl. municipale
583, s. XII
(ca. 1138-1143)
Die Handschrift
stammt nach A.
Boutemy aus
dem Kloster Anchin.
Vielleicht handelt es sich um den Codex, den Boetius Epo (+1599)
gekannt hat.
Die Handschrift ist am Schluß stark beschädigt und
überliefert die CA nur
fragmentarisch. Sie stehen im gleichen Kontext wie in Handschrift 52.
54. Paris,
Bibl. nat. lat.
14314, s. XII
(ca. 1138-1143)
Die Handschrift ist
nicht in
Saint-Victor-de-Paris geschrieben, wie L. Delisle annahm,
sondern dieser Abtei erst von Abt Jean Lamasse (1448-1456) geschenkt
worden.
Aufgrund der Illuminierung der Handschrift vermutet Sch. Williams, der Codex
sei in
Nordfrankreich
geschrieben worden. Die CA stehen im gleichen Kontext wie in
Handschrift 52.
Interessant sind zahlreiche Merkzeichen und Glossen, die anscheinend im
Zusammenhang mit der konziliaristischen Diskussion im letzten Drittel
des 14.
Jahrhunderts angebracht wurden.
55. Vatikanstadt,
Bibl.
Apostolica Vaticana, Vat. lat. 631, 2
Bände, s. XIII4/4
Die Handschrift ist
ausweislich
einer bis
zu Johannes XXI.
(1276-1277)
reichenden Papstliste nicht vor 1276 geschrieben, und es spricht nichts
dagegen, die Niederschrift des Codex in die Jahre 1276/77 zu datieren.
Die
Handschrift stammt aus Frankreich und gehörte vermutlich dem
Kardinal und
Erzbischof von Rouen Pierre Roger, dem späteren Papst Clemens VI.
(1342-1352).
Die CA, die hier
durch einen
Zusatz zu der in Klasse B üblichen Rubrik (Incipiunt
capitula
collecta ex
diversis conciliis sive decretis Romanorum pontificum ab Agilramno
Metensi
episcopo et Adriano pape oblata) als Copulatio
canonum bezeichnet
sind, stehen im gleichen Kontext wie in Handschrift 52.
Gruppe 2
Gruppe 2
umfaßt folgende
Handschriften:
56. Boulogne-sur-Mer,
Bibl.
municipale 116, 2 Bände, s. XII
(ca. 1159/1160)
Die Handschrift
stammt nach
einem von L. Delisle
publizierten
Bibliothekskatalog, der in
dieser Handschrift überliefert ist,
aus St.-Martin-de-Tournai, von wo aus die Handschrift zunächst
in
die
Dombibliothek von Arras und schließlich nach der
französischen Revolution nach
Boulogne kam. Die CA stehen im gleichen Kontext wie in Handschrift 52.
57. Douai,
Bibl. municipale
582, 2 Bände, s. XII
(ca. 1159/1160)
Die Handschrift
stammt aus
Marchiennes und
ist von Andreas von Marchiennes geschrieben.
Die CA stehen im gleichen Kontext wie in Handschrift 52. C. 18 fehlt
vermutlich
aufgrund eines Versehens wegen des übereinstimmenden Anfangs
von
c. 18-20
(jeweils Placuit ut).
58. Paris,
Bibl. nat. lat.
3853, s. XII
(ca. 1145-1149)
Die Handschrift
stammt aus
St.-Amand und
kam über die Bibliothek von Erzbischof Charles Le Tellier von
Reims (+1710) in
die Bibliothèque royale. Die CA stehen im gleichen Kontext
wie
in Handschrift 52.
Die Einteilung der
B-Handschriften in zwei
Gruppen ergibt sich aus folgenden Beobachtungen: Die Handschriften der
Gruppe 2
haben c. 24 in zwei Kapitel unterteilt (bei Nec prius
litigantibus, Z.
133); zudem finden sich folgende gruppentypische Lesarten:
Gruppe 1
|
Gruppe 2
|
Z. @@@: ut
|
fehlt
|
Z. @@@: sibi
|
fratri
|
Z. @@@: iniuriosa
|
iniuriare
|
Folgende Merkmale
sind allen
Handschriften
der Klasse B gemeinsam: Die CA sind in Kapitel eingeteilt,
außer
in Handschrift
55 findet sich überall auch eine durchgehende
Kapitelzählung.
Folgende
Leitvarianten sind den
B-Handschriften gemeinsam:
Die Rubrik, die die
CA Angilram
von Metz
zuschreibt (siehe oben S. @@@); Z. @@@: auctores] doctores; Z.
@@@: deferre]
defendere; Z. @@@: conciliorum] conciliorum
patrum; Z.
@@@: sedes] fehlt; Z. @@@: rogetur]
negetur; Z. @@@: redintegrentur]
redintegrentur nec; Z. @@@: nisi] si non eum; Z.
@@@: pulsatur]
pulsatus est; Z. @@@: metropolitanus]
metropolitanus
episcopus; Z. @@@: et - plena] ordinem plenum; Z.
@@@: adiciendique]
audiendique; Z.
@@@: metropolitanum] metropolitanum episcopum; Z.
@@@: accusato
- liceat]
accusatus - licentiam habeat; Z. @@@: implicantur]
appellantur; Z. @@@: extra] fehlt; Z.
@@@: teneatur] habeatur; Z.
@@@: discernit]
diiudicat; Z. @@@: det - aliquam] de accusatione
aliqua
audiatur; Z.
@@@: infamia notantur] infames adnotantur.
Alle Handschriften
der Klasse
B, deren
Provenienz sich näher bestimmen läßt,
stammen aus
Nordfrankreich. Es ist daher
wahrscheinlich, daß Klasse B in Nordfrankreich entstanden
ist.
Der kanonistische
Einfluß ist gering gewesen, was wohl auch damit
zusammenhängt, daß Klasse B in
größerem Umfang erst etwa gleichzeitig mit dem
Dekret
Gratians (ca. 1140) oder
erst danach verbreitet wurde. Keine der von uns untersuchten
Kanonessammlungen
scheint eine Handschrift der Klasse B herangezogen zu haben.
Angesichts
des geringen Einflusses dieser Klasse und
der nicht bedeutenden Textqualität ist bei der Edition nur
eine
Handschrift
berücksichtigt worden. Die textlichen Abweichungen zwischen
Gruppe
1 und 2 sind
gering. Gruppe 1 steht aber der ursprünglichen
Kapiteleinteilung
näher als
Gruppe 2. Es empfiehlt sich daher eine Handschrift der Gruppe 1. Da
Handschrift
54 (Paris, Bibl. nat. lat. 14314) im 14. Jahrhundert vielleicht einen
gewissen
Einfluß ausgeübt hat,
wurde diese Handschrift herangezogen.
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2005 Karl-Georg
Schon
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Zuletzt
geändert am
6.7.2005
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