II. Der
Bischofsprozeß nach den CA
Um Näheres
über die Tendenz der CA zu
erfahren, die – so E. Seckel – eine "kleine
Strafprozeßordnung für das Anklageverfahren gegen
Bischöfe" darstellen,[1]
empfiehlt es sich, den Gang eines solchen
Verfahrens nach den CA darzustellen. Schon im ersten Satz wird jeder
Ankläger vor der Anklageerhebung gewarnt: Er klage damit die
von
Gott verfügte Einsetzung des Bischofs in sein Amt (ordinatio)an
(CA 1a).[2]
Vor jeder Anklage ist eine gütliche Einigung mit dem Bischof
zu
versuchen. Sollte der Ankläger diesen Einigungsversuch
versäumt haben, ist er selbst zu exkommunizieren (CA 1c),
wodurch
er anklage- und zeugnisunfähig wird (CA 11a). Erst wenn der
Einigungsversuch mißlungen ist, wird die Anklageerhebung
zulässig. Die Angelegenheit ist den summi
primates in
(nirgends näher definierter) kanonischer Weise vorzulegen (CA
3 Z.
@@@.). Damit wird bereits vor Prozeßbeginn ein unheilbarer
Rechtsfehler in das Verfahren eingebaut, der den Prozeß gegen
den
Angeklagten im Grunde schon unmöglich macht, bevor er noch
begonnen hat. Die summi
primates, mit denen wegen des
Plurals
keinesfalls der Papst gemeint sein kann, sollen nämlich an
einen
allen Beteiligten genehmen Ort ein Konzil aller Bischöfe der
Kirchenprovinz einberufen, bei dem der ebenfalls zu ladende angeklagte
Bischof gehört werden soll (CA 3f). Diese Vorschrift steht im
Gegensatz zu einer anderen Norm, wo diesingularis
auctoritas und privata
potestas der Konzilseinberufung
dem Papst
zuerkannt wird (CA 2a). Die gleiche Stelle schreibt vor, daß
ein
Bischof keinesfalls von einer Synode verhört werden
dürfe,
die nicht vom Papst apostolica
auctoritate einberufen ist. Es
ist zwar möglich, daß die Fälscher hier wie
auch an
anderen Stellen[3]
die Harmonisierung einander widersprechender Vorschriften
versäumt
haben, andererseits ist es aber auch nicht auszuschließen,
daß der Widerspruch mit Absicht stehenblieb, um den
Bischofsprozeß weiter zu komplizieren und zu erschweren. Wenn
die
Synode einberufen ist, hat der Angeklagte zwar grundsätzlich
die
Pflicht, auf ihr zu erscheinen, doch sind die Fristen und
Ausnahmeregelungen, die die CA vorsehen, so vage bzw. so weit
gefaßt, daß der Angeklagte den Prozeß
praktisch
beliebig verzögern kann (CA 3g, 3m und 3n). Besonderes Gewicht
wird darauf gelegt, daß die erstinstanzliche Kompetenz allein
bei
der Provinzialsynode liegt (CA 3f, 3x, 7, 8a, 8b, 9a, 9c, 11a, 16, 17,
25, 26, 27). Diesen beachtlichen Aufwand machen andere Vorschriften
jedoch wieder zunichte: Der Angeklagte darf sich seine Richter
nämlich frei wählen (CA 3n und 16). Beide
Vorschriften sind
miteinander unvereinbar und machen den Prozeß wieder
unmöglich, denn entweder wird der Angeklagte von allen
Bischöfen der Provinz (so ausdrücklich CA 3f, 11a,
17, 25 und
27) gerichtet, oder er darf sich seine Richter selbst wählen.
Ein
zufälliger Fehler der Fälscher liegt hier nicht vor,
denn die
selbstgewählten Richter finden sich häufig in den
pseudoisidorischen Fälschungen.[4]
Will man nicht annehmen,
daß die Fälscher ihr eigenes Prozeßrecht
nicht
verstanden haben, dann bleibt nur der Schluß übrig,
daß der Widerspruch bewußt eingebaut ist, um das
Prozeßrecht zu komplizieren und den Prozeß zu
verhindern.
Ein weiteres Hindernis haben die Fälscher mit der exceptio
spolii eingebaut: Sollte der
Angeklagte seines Besitzes beraubt
oder von seinem Bischofssitz vertrieben sein, so ist er von der Synode
vor Prozeßbeginn in seine Besitztümer und
Ämter wieder
einzusetzen (CA 3i-l).
Sollte es trotz
dieser Hindernisse doch noch zum
Prozeß kommen, so haben die richtenden Bischöfe die
Person
des Anklägers zu prüfen, der persönlich
anwesend sein
muß (CA 3v und 36). Wenn der Ankläger nicht selbst
Bischof
ist, wird das Verfahren hinfällig, da nur ein mindestens
Ranggleicher einen Bischof anklagen kann (CA 18 und 13bis).
Selbst wenn diese Bedingung erfüllt ist, ist die Anklage noch
nicht ohne weiteres zugelassen, denn eigentlich darf ein Bischof
überhaupt nicht angeklagt werden (CA 12bis),
und
außerdem darf die Anklage von niemandem vorgebracht werden,
der
von dem Angeklagten geweiht worden ist (CA 15bisb).
Die CA
lassen es nicht bei diesen formalen Anforderungen an die Person des
Anklägers. Zwar wird nicht wie an anderen Stellen
Pseudoisidors
die Idoneität des Anklägers verlangt,[5]
doch inhaltlich stimmen die CA
mit diesen Stellen weitgehend überein. Glaube und Lebenswandel
des
Anklägers sind zu untersuchen (CA 3a-c, 3p-q, 12 und 13);
steht
die persönliche Freiheit des Anklägers nicht
außer
jedem Zweifel, ist seine Klage abzuweisen (CA 13 und 18); wenn der
Ankläger selbst in eine Kriminaluntersuchung verwickelt oder
vorbestraft ist, ist die Anklage nicht zuzulassen (CA 3r, 14, 31, und 11bisa);
auch Infame dürfen keine Anklage vorbringen, eine angesichts
des
Anklageprivilegs der Bischöfe an sich obsolete Vorschrift (CA
3s
und 18); schließlich sind alle, die sich bestimmter schwerer
Delikte schuldig gemacht haben, von der Anklage ausgeschlossen (CA 10bis).[6]
Am
Prozeßverlauf selbst sind die Fälscher nur
mäßig interessiert. Sie geben
verhältnismäßig wenig Auskunft
darüber, wie sie
sich das Verfahren selbst vorstellen. Der Angeklagte hat jedenfalls bis
zum Beweis des Gegenteils als unschuldig zu gelten (CA 6). Der
Prozeß muß in einer Kirche stattfinden (CA 10). Die
Beweislast liegt beim Ankläger (CA 21). Die Richter sind zu
besonderer Sorgfalt (CA 24) und zu Unparteilichkeit verpflichtet (CA
35). Niemand darf in Abwesenheit verurteilt werden (CA 49).
Aussagepflicht besteht nur vor dem zuständigen Gericht; vor
einem
unzuständigen Gericht hat der Angeklagte ein
Aussageverweigerungsrecht (CA 3bis).
Ein ungerechtes Urteil
ist nichtig (CA 2bis
und 18bis).
Größeres
Interesse zeigen die Fälscher
dagegen an dem Personenkreis, der – abgesehen vom Angeklagten
selbst – allein eine Verurteilung herbeiführen kann,
nämlich an den Zeugen (CA 1bis).
Die an die Zeugen zu
stellenden Anforderungen sind nicht ganz so streng wie die an die
Ankläger: Der Zeuge darf nicht infam sein (CA 13bis,
vgl. auch 10bis);
er darf mit keinem Prozeßbeteiligten
verwandt sein (CA 3w); er muß Frau und Söhne haben
und fest
im Glauben sein (CA 13bis);
ein selbst in ein
Kriminalverfahren verwickelter Zeuge gilt bis zum Beweis seiner
Unschuld als unglaubwürdig (CA 31). Umso höher ist
die Zahl
der Zeugen, die zu einer Verurteilung erforderlich sind: Zum
Schuldbeweis sind es bei einem Bischof 72, bei einem Kardinalpriester
44, bei einem Kardinaldiakon 26 und bei den niederen Weihestufen 7 (CA
13bis).
Das Urteil
muß einstimmig erfolgen (CA 17) und
gerecht sein (CA 2bis
und 18bis).
Endet das
Verfahren mit einem Freispruch für den Angeklagten, hat der
Ankläger harte Strafen zu gewärtigen: Er ist auf ewig
exkommuniziert (CA 5bis)[7]
und infam (CA 38); er hat
ferner dieselbe Strafe zu erwarten, die auf den von ihm behaupteten
Verbrechen steht (CA 22). Falls er aus Neid gehandelt hat, wird ihm
außerdem die Zunge abgeschnitten, oder er wird gar enthauptet
(CA
44b).[8]
Diese Drohungen gegen den Ankläger dienen ähnlich wie
die
Anklagebeschränkungen dazu, die Anklageerhebung weiter zu
erschweren. Unter den geschilderten Prozeßbedingungen
läuft
auch jede berechtigte Anklage ein nahezu unkalkulierbares Risiko.
Obwohl die Anklage oder gar die Verurteilung eines Bischofs unter
diesen Umständen kaum zu erwarten ist, gehen die
Fälscher
noch einen Schritt weiter und gewähren dem Angeklagten noch
ein
zusätzliches Recht: Er darf zu jedem Zeitpunkt des Prozesses
nach
Rom appellieren (CA 17 und 20, vgl. auch 30 und 32).
Nimmt man alle
Vorschriften der CA über den
Bischofsprozeß zusammen, muß man in den Kapiteln
eher eine
Prozeßverhinderungsordnung sehen als eine
Prozeßordnung.
[1]
Seckel, NA 40, 1916, S. 43.
[2]
Ordinatio ist
wohl als der den ordodes
Bischofs begründende Akt Gottes bei der Einsetzung des
Bischofs zu
verstehen und nicht, wie Hauck, Kirchengeschichte Deutschlands 2 ,
1952, S. 540 anzunehmen scheint, als die göttliche Ordnung
allgemein.
[3]
Etwa CA 5 Z. @@@., wo offenbar aus Versehen die Appellation an den
Bischof von Konstantinopel und nicht an den Papst wie in CA 17 Z. @@@.
stehengeblieben ist. Beide Stellen stammen aus derselben Quelle, c. 17
des Konzils von Chalkedon, wo die Appellation nach Konstantinopel
vorgesehen war.
[4]
Vgl. etwa Ben. 3,309; Ps.-Viginius, ed. Schon,http://www.pseudoisidor.de/pdf/023_Viginius_Carissimi_deus.pdf,
S. 198 Z. 54 (ed. Hinschius, S. 114 Z. 23); Ps.-Fabianus, ed. Schon,http://www.pseudoisidor.de/html/042_fabianus_exigit_dilectio_v.htm
(ed. Hinschius, S.165 Z. 21 f.); Ps.-Felix I.,ed. Hinschius,S. 202 Z.
3; ebd., S. 202 Z. 21 f.; Ps.-Iulius, ebd., S. 469 Z. 14 usw. Die Texte
aus den Falschen Dekretalen werden nach der Internetausgabe http://www.pseudoisidor.de
(ed. Schon)
zitiert, da die
Ausgabe von P. Hinschius auch in den echten Teilen für
kritische
Zwecke unbrauchbar ist. Als Beipiel seien die von Hinschius nicht
vermerkten Abweichungen von seiner Leithandschrift ("Par. int. suppl.
lat 840", heute Paris Bibl. nat. lat 9629) in einem einzigen
Stück
seiner Ausgabe angeführt (5. Symmachus-Synode, ed. Hinschius,
S.
675-679, Hinschius = H, Paris BN lat. 9629, f. 173vb-175rb = P): S.
675, Z. 6: H: quartam; P: certamen
korr. aus cur
tamen; S. 675, Z. 12: H: sinodorum; P:
sinodarum; S. 675, Z. 12: H: ita; P: ista; S. 675, Z. 13: H: quia; P:
qui; S. 675, Z. 14: vestram; P: vestra; S. 675, Z. 19: H: papam; P:
papa; S. 675, Z. 20: H: iudicaverunt; P: iudicavierunt; S. 675, Z. 20:
H: nostram; P: nostrum; S. 675, Z. 26: H: provisionis; P: professionis;
S. 676, Z. 1: H: tranquillitatem; P: tranquillitate; S. 676, Z. 2: H:
praestet; P: praestat; S. 676, Z. 10: H: re alia; P: re; S. 676, Z. 11:
H: quia; P: quam; S. 676, Z. 11: H: actus; P: accusatus korr. aus accusatis;
S.
676, Z. 12: H. reprehendendi; P. repraehendi; S. 676, Z. 13: H: vel; P:
iam; S. 676, Z. 17: sublatae sibi; P: sibi sublatae; S. 676, Z. 22f.:
H: contestatam litem; P: litem contestatam; S. 676, Z. 26: H: regum; P:
regnum; S. 676, Z. 28: H: potestate funditus; P: funditus; S. 676, Z.
28: H: revocanda; P: revocandorum; S. 676; Z. 29: H conditione; P:
conditionem; S. 676, Z. 31: H: ad; P: aut; S. 676, Z. 33: H:
multiplicatione; P: multiplicationem; S. 676, Z. 40: H: suspecti sunt;
P: suspectis; S. 676, Z. 42: H: videntur; P: videtur; S. 676, Z. 43: H;
Episcopalem; P: Episcoparum (!); S. 677, Z. 1: H: amputantes; P:
amputates; S. 677, Z. 1: H: expressis; P: exemplis; S. 677; Z. 4: H:
fuerint; P: fuerunt; S. 677, Z. 5: H: adunatione; P: adunationem; S.
677, Z. 9: H: anathemate; P: anathema; S. 677, Z. 14: H: tradantur; P:
tradatur; S. 677, Z. 18: H: Sed Symachus; P: Symachus; S. 677, Z. 18:
H: Symachus; P: Symachus episcopus; S. 677, Z. 19: H: iudicium; P.
iuditia; S. 677, Z. 20: H: errores; P: erroris; S. 677, Z. 21: H:
servorumque; P: saevorumque; S. 677, Z. 27: H: vitentur; P: vitenentur;
S. 677, Z. 27: H: facto; P: factum est; S. 677, Z. 31: H: aut; P: vel.
S. 677-679 folgen auf die angeblichen Synodalakten die Unterschriften
der Bischöfe, die ebenfalls nicht fehlerfrei wiedergegeben
sind.
In den eigentlichen Synodalakten finden sich auf 105 Druckzeilen mithin
nicht weniger als 42 im kritischen Apparat nicht verzeichnete
Abweichungen von Leithandschrift, wobei ebenfalls nicht seltene
orthographische Abweichungen nicht berücksichtigt sind, obwohl
die
Ausgabe den Eindruck erweckt, als wolle sie die Leithandschrift auch
orthographisch getreu wiedergeben. Das gleiche Bild ergibt sich in
anderen gefälschten Stücken der Ausgabe.
[5]
Vgl. z. B. Ps.-Anacletus, ed. Schon, http://www.pseudoisidor.de/pdf/013_Anacletus_Quoniam_apostolicae_sedis.pdf,
S. 114 Z. 28 f. (ed. Hinschius, S. 76 Z. 2 f.); Ps.-Telesforus, ed.
Schon,http://www.pseudoisidor.de/pdf/022_Telesphorus_Credimus_sanctam_pdf,
S. 191 Z. 73 f. (ed. Hinschius, S.112 Z. 1 f.); Ps.-Eleutherus, ed.
Schon,http://www.pseudoisidor.de/pdf/030_Eleutherus_Magno_munere.pdf,
S. 225 Z. 37 (ed. Hinschius, S. 126 Z. 8 f.); Ps.-Sixtus II.,ed. Schon,
http://www.pseudoisidor.de/html/050_sixtus_magno_munere.htm
(ed. Hinschius, S. 193 Z. 13-15); Ps.-Iulius, ed. Hinschius, S. 468 Z.
19 f.
[6]
Die in CA 10 aufgeführten Verbrechen decken sich mit denen,
die
Infamie bewirken, vgl. May, Anklagebeschränkungen, S. 110. Die
Gleichsetzung von Infamie und Zeugnisunfähigkeit im
westgotischen
Recht, auf die May, ebd., Anm. 26 im Anschluß an Zeumer,
Geschichte der westgotischen Gesetzgebung 2, NA 24, 1886, S. 98 f.
aufmerksam macht, besteht in den CA nicht. Die CA dehnen die Gruppe der
Zeugnisunfähigen weit über die der Infamen hinaus
aus, indem
sie Zeugnis- und Anklageunfähigkeit schon bei der Verwicklung
in
eine Kriminaluntersuchung eintreten lassen, noch bevor die Schuld
erwiesen ist. Außerdem lassen sie nicht einmal unverheiratete
oder kinderlose Zeugen zu, vgl. CA 13bis,
Z. @@@.
[7]
Die Strafe erschien vielen Abschreibern zu hart, sie wurde daher in
zahlreichen Handschriften in Exkommunikation bis zur Todesstunde
umgewandelt.
[8]
Dem Redaktor von Handschriftenklasse L erschien diese Vorschrift
bedenklich. Er setzte als Marginalie hinzu: Hoc
capitulum non est
canonicum, sed a saecularibus legibus sumptum.
©
2005
Karl-Georg
Schon
Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Er steht unter der
GNU
Free Documentation License.
Demnach dürfen Sie ihn frei weiter verbreiten und bearbeiten,
vorausgesetzt Sie nennen den Namen des ursprünglichen Autors
und
Sie geben auch anderen das Recht den von Ihnen bearbeiteten oder
verbreiteten Text unter den gleichen Bedingungen weiter zu verbreiten.
Im einzelnen finden Sie Bestimmungen der GNU Free Documentation License
unter dem Menüpunkt Lizenz.
Zuletzt geändert
am 6.7.2005
|