Projekt Pseudoisidor

Pseudoisidor

Capitula Angilramni

Collectio Danieliana

Pseudoisidor Teil I

Pseudoisidor Teil II

Pseudoisidor Teil III

Die CA und die pseudo-
isidorischen Fälschungen

 

Die Überlieferung

II. Der Bischofsprozeß nach den CA

Um Näheres über die Tendenz der CA zu erfahren, die – so E. Seckel – eine "kleine Strafprozeßordnung für das Anklageverfahren gegen Bischöfe" darstellen,[1] empfiehlt es sich, den Gang eines solchen Verfahrens nach den CA darzustellen. Schon im ersten Satz wird jeder Ankläger vor der Anklageerhebung gewarnt: Er klage damit die von Gott verfügte Einsetzung des Bischofs in sein Amt (ordinatio)an (CA 1a).[2] Vor jeder Anklage ist eine gütliche Einigung mit dem Bischof zu versuchen. Sollte der Ankläger diesen Einigungsversuch versäumt haben, ist er selbst zu exkommunizieren (CA 1c), wodurch er anklage- und zeugnisunfähig wird (CA 11a). Erst wenn der Einigungsversuch mißlungen ist, wird die Anklageerhebung zulässig. Die Angelegenheit ist den summi primates in (nirgends näher definierter) kanonischer Weise vorzulegen (CA 3 Z. @@@.). Damit wird bereits vor Prozeßbeginn ein unheilbarer Rechtsfehler in das Verfahren eingebaut, der den Prozeß gegen den Angeklagten im Grunde schon unmöglich macht, bevor er noch begonnen hat. Die summi primates, mit denen wegen des Plurals keinesfalls der Papst gemeint sein kann, sollen nämlich an einen allen Beteiligten genehmen Ort ein Konzil aller Bischöfe der Kirchenprovinz einberufen, bei dem der ebenfalls zu ladende angeklagte Bischof gehört werden soll (CA 3f). Diese Vorschrift steht im Gegensatz zu einer anderen Norm, wo diesingularis auctoritas und privata potestas der Konzilseinberufung dem Papst zuerkannt wird (CA 2a). Die gleiche Stelle schreibt vor, daß ein Bischof keinesfalls von einer Synode verhört werden dürfe, die nicht vom Papst apostolica auctoritate einberufen ist. Es ist zwar möglich, daß die Fälscher hier wie auch an anderen Stellen[3] die Harmonisierung einander widersprechender Vorschriften versäumt haben, andererseits ist es aber auch nicht auszuschließen, daß der Widerspruch mit Absicht stehenblieb, um den Bischofsprozeß weiter zu komplizieren und zu erschweren. Wenn die Synode einberufen ist, hat der Angeklagte zwar grundsätzlich die Pflicht, auf ihr zu erscheinen, doch sind die Fristen und Ausnahmeregelungen, die die CA vorsehen, so vage bzw. so weit gefaßt, daß der Angeklagte den Prozeß praktisch beliebig verzögern kann (CA 3g, 3m und 3n). Besonderes Gewicht wird darauf gelegt, daß die erstinstanzliche Kompetenz allein bei der Provinzialsynode liegt (CA 3f, 3x, 7, 8a, 8b, 9a, 9c, 11a, 16, 17, 25, 26, 27). Diesen beachtlichen Aufwand machen andere Vorschriften jedoch wieder zunichte: Der Angeklagte darf sich seine Richter nämlich frei wählen (CA 3n und 16). Beide Vorschriften sind miteinander unvereinbar und machen den Prozeß wieder unmöglich, denn entweder wird der Angeklagte von allen Bischöfen der Provinz (so ausdrücklich CA 3f, 11a, 17, 25 und 27) gerichtet, oder er darf sich seine Richter selbst wählen. Ein zufälliger Fehler der Fälscher liegt hier nicht vor, denn die selbstgewählten Richter finden sich häufig in den pseudoisidorischen Fälschungen.[4] Will man nicht annehmen, daß die Fälscher ihr eigenes Prozeßrecht nicht verstanden haben, dann bleibt nur der Schluß übrig, daß der Widerspruch bewußt eingebaut ist, um das Prozeßrecht zu komplizieren und den Prozeß zu verhindern. Ein weiteres Hindernis haben die Fälscher mit der exceptio spolii eingebaut: Sollte der Angeklagte seines Besitzes beraubt oder von seinem Bischofssitz vertrieben sein, so ist er von der Synode vor Prozeßbeginn in seine Besitztümer und Ämter wieder einzusetzen (CA 3i-l).

Sollte es trotz dieser Hindernisse doch noch zum Prozeß kommen, so haben die richtenden Bischöfe die Person des Anklägers zu prüfen, der persönlich anwesend sein muß (CA 3v und 36). Wenn der Ankläger nicht selbst Bischof ist, wird das Verfahren hinfällig, da nur ein mindestens Ranggleicher einen Bischof anklagen kann (CA 18 und 13bis). Selbst wenn diese Bedingung erfüllt ist, ist die Anklage noch nicht ohne weiteres zugelassen, denn eigentlich darf ein Bischof überhaupt nicht angeklagt werden (CA 12bis), und außerdem darf die Anklage von niemandem vorgebracht werden, der von dem Angeklagten geweiht worden ist (CA 15bisb). Die CA lassen es nicht bei diesen formalen Anforderungen an die Person des Anklägers. Zwar wird nicht wie an anderen Stellen Pseudoisidors die Idoneität des Anklägers verlangt,[5] doch inhaltlich stimmen die CA mit diesen Stellen weitgehend überein. Glaube und Lebenswandel des Anklägers sind zu untersuchen (CA 3a-c, 3p-q, 12 und 13); steht die persönliche Freiheit des Anklägers nicht außer jedem Zweifel, ist seine Klage abzuweisen (CA 13 und 18); wenn der Ankläger selbst in eine Kriminaluntersuchung verwickelt oder vorbestraft ist, ist die Anklage nicht zuzulassen (CA 3r, 14, 31, und 11bisa); auch Infame dürfen keine Anklage vorbringen, eine angesichts des Anklageprivilegs der Bischöfe an sich obsolete Vorschrift (CA 3s und 18); schließlich sind alle, die sich bestimmter schwerer Delikte schuldig gemacht haben, von der Anklage ausgeschlossen (CA 10bis).[6]

Am Prozeßverlauf selbst sind die Fälscher nur mäßig interessiert. Sie geben verhältnismäßig wenig Auskunft darüber, wie sie sich das Verfahren selbst vorstellen. Der Angeklagte hat jedenfalls bis zum Beweis des Gegenteils als unschuldig zu gelten (CA 6). Der Prozeß muß in einer Kirche stattfinden (CA 10). Die Beweislast liegt beim Ankläger (CA 21). Die Richter sind zu besonderer Sorgfalt (CA 24) und zu Unparteilichkeit verpflichtet (CA 35). Niemand darf in Abwesenheit verurteilt werden (CA 49). Aussagepflicht besteht nur vor dem zuständigen Gericht; vor einem unzuständigen Gericht hat der Angeklagte ein Aussageverweigerungsrecht (CA 3bis). Ein ungerechtes Urteil ist nichtig (CA 2bis und 18bis).

Größeres Interesse zeigen die Fälscher dagegen an dem Personenkreis, der – abgesehen vom Angeklagten selbst – allein eine Verurteilung herbeiführen kann, nämlich an den Zeugen (CA 1bis). Die an die Zeugen zu stellenden Anforderungen sind nicht ganz so streng wie die an die Ankläger: Der Zeuge darf nicht infam sein (CA 13bis, vgl. auch 10bis); er darf mit keinem Prozeßbeteiligten verwandt sein (CA 3w); er muß Frau und Söhne haben und fest im Glauben sein (CA 13bis); ein selbst in ein Kriminalverfahren verwickelter Zeuge gilt bis zum Beweis seiner Unschuld als unglaubwürdig (CA 31). Umso höher ist die Zahl der Zeugen, die zu einer Verurteilung erforderlich sind: Zum Schuldbeweis sind es bei einem Bischof 72, bei einem Kardinalpriester 44, bei einem Kardinaldiakon 26 und bei den niederen Weihestufen 7 (CA 13bis).

Das Urteil muß einstimmig erfolgen (CA 17) und gerecht sein (CA 2bis und 18bis). Endet das Verfahren mit einem Freispruch für den Angeklagten, hat der Ankläger harte Strafen zu gewärtigen: Er ist auf ewig exkommuniziert (CA 5bis)[7] und infam (CA 38); er hat ferner dieselbe Strafe zu erwarten, die auf den von ihm behaupteten Verbrechen steht (CA 22). Falls er aus Neid gehandelt hat, wird ihm außerdem die Zunge abgeschnitten, oder er wird gar enthauptet (CA 44b).[8] Diese Drohungen gegen den Ankläger dienen ähnlich wie die Anklagebeschränkungen dazu, die Anklageerhebung weiter zu erschweren. Unter den geschilderten Prozeßbedingungen läuft auch jede berechtigte Anklage ein nahezu unkalkulierbares Risiko. Obwohl die Anklage oder gar die Verurteilung eines Bischofs unter diesen Umständen kaum zu erwarten ist, gehen die Fälscher noch einen Schritt weiter und gewähren dem Angeklagten noch ein zusätzliches Recht: Er darf zu jedem Zeitpunkt des Prozesses nach Rom appellieren (CA 17 und 20, vgl. auch 30 und 32).

Nimmt man alle Vorschriften der CA über den Bischofsprozeß zusammen, muß man in den Kapiteln eher eine Prozeßverhinderungsordnung sehen als eine Prozeßordnung.


[1] Seckel, NA 40, 1916, S. 43.

[2] Ordinatio ist wohl als der den ordodes Bischofs begründende Akt Gottes bei der Einsetzung des Bischofs zu verstehen und nicht, wie Hauck, Kirchengeschichte Deutschlands 2 , 1952, S. 540 anzunehmen scheint, als die göttliche Ordnung allgemein.

[3] Etwa CA 5 Z. @@@., wo offenbar aus Versehen die Appellation an den Bischof von Konstantinopel und nicht an den Papst wie in CA 17 Z. @@@. stehengeblieben ist. Beide Stellen stammen aus derselben Quelle, c. 17 des Konzils von Chalkedon, wo die Appellation nach Konstantinopel vorgesehen war.

[4] Vgl. etwa Ben. 3,309; Ps.-Viginius, ed. Schon,http://www.pseudoisidor.de/pdf/023_Viginius_Carissimi_deus.pdf, S. 198 Z. 54 (ed. Hinschius, S. 114 Z. 23); Ps.-Fabianus, ed. Schon,http://www.pseudoisidor.de/html/042_fabianus_exigit_dilectio_v.htm (ed. Hinschius, S.165 Z. 21 f.); Ps.-Felix I.,ed. Hinschius,S. 202 Z. 3; ebd., S. 202 Z. 21 f.; Ps.-Iulius, ebd., S. 469 Z. 14 usw. Die Texte aus den Falschen Dekretalen werden nach der Internetausgabe http://www.pseudoisidor.de (ed. Schon) zitiert, da die Ausgabe von P. Hinschius auch in den echten Teilen für kritische Zwecke unbrauchbar ist. Als Beipiel seien die von Hinschius nicht vermerkten Abweichungen von seiner Leithandschrift ("Par. int. suppl. lat 840", heute Paris Bibl. nat. lat 9629) in einem einzigen Stück seiner Ausgabe angeführt (5. Symmachus-Synode, ed. Hinschius, S. 675-679, Hinschius = H, Paris BN lat. 9629, f. 173vb-175rb = P): S. 675, Z. 6: H: quartam; P: certamen korr. aus cur tamen; S. 675, Z. 12: H: sinodorum; P: sinodarum; S. 675, Z. 12: H: ita; P: ista; S. 675, Z. 13: H: quia; P: qui; S. 675, Z. 14: vestram; P: vestra; S. 675, Z. 19: H: papam; P: papa; S. 675, Z. 20: H: iudicaverunt; P: iudicavierunt; S. 675, Z. 20: H: nostram; P: nostrum; S. 675, Z. 26: H: provisionis; P: professionis; S. 676, Z. 1: H: tranquillitatem; P: tranquillitate; S. 676, Z. 2: H: praestet; P: praestat; S. 676, Z. 10: H: re alia; P: re; S. 676, Z. 11: H: quia; P: quam; S. 676, Z. 11: H: actus; P: accusatus korr.  aus accusatis; S. 676, Z. 12: H. reprehendendi; P. repraehendi; S. 676, Z. 13: H: vel; P: iam; S. 676, Z. 17: sublatae sibi; P: sibi sublatae; S. 676, Z. 22f.: H: contestatam litem; P: litem contestatam; S. 676, Z. 26: H: regum; P: regnum; S. 676, Z. 28: H: potestate funditus; P: funditus; S. 676, Z. 28: H: revocanda; P: revocandorum; S. 676; Z. 29: H conditione; P: conditionem; S. 676, Z. 31: H: ad; P: aut; S. 676, Z. 33: H: multiplicatione; P: multiplicationem; S. 676, Z. 40: H: suspecti sunt; P: suspectis; S. 676, Z. 42: H: videntur; P: videtur; S. 676, Z. 43: H; Episcopalem; P: Episcoparum (!); S. 677, Z. 1: H: amputantes; P: amputates; S. 677, Z. 1: H: expressis; P: exemplis; S. 677; Z. 4: H: fuerint; P: fuerunt; S. 677, Z. 5: H: adunatione; P: adunationem; S. 677, Z. 9: H: anathemate; P: anathema; S. 677, Z. 14: H: tradantur; P: tradatur; S. 677, Z. 18: H: Sed Symachus; P: Symachus; S. 677, Z. 18: H: Symachus; P: Symachus episcopus; S. 677, Z. 19: H: iudicium; P. iuditia; S. 677, Z. 20: H: errores; P: erroris; S. 677, Z. 21: H: servorumque; P: saevorumque; S. 677, Z. 27: H: vitentur; P: vitenentur; S. 677, Z. 27: H: facto; P: factum est; S. 677, Z. 31: H: aut; P: vel. S. 677-679 folgen auf die angeblichen Synodalakten die Unterschriften der Bischöfe, die ebenfalls nicht fehlerfrei wiedergegeben sind. In den eigentlichen Synodalakten finden sich auf 105 Druckzeilen mithin nicht weniger als 42 im kritischen Apparat nicht verzeichnete Abweichungen von Leithandschrift, wobei ebenfalls nicht seltene orthographische Abweichungen nicht berücksichtigt sind, obwohl die Ausgabe den Eindruck erweckt, als wolle sie die Leithandschrift auch orthographisch getreu wiedergeben. Das gleiche Bild ergibt sich in anderen gefälschten Stücken der Ausgabe.

[5] Vgl. z. B. Ps.-Anacletus, ed. Schon, http://www.pseudoisidor.de/pdf/013_Anacletus_Quoniam_apostolicae_sedis.pdf, S. 114 Z. 28 f. (ed. Hinschius, S. 76 Z. 2 f.); Ps.-Telesforus, ed. Schon,http://www.pseudoisidor.de/pdf/022_Telesphorus_Credimus_sanctam_pdf, S. 191 Z. 73 f. (ed. Hinschius, S.112 Z. 1 f.); Ps.-Eleutherus, ed. Schon,http://www.pseudoisidor.de/pdf/030_Eleutherus_Magno_munere.pdf, S. 225 Z. 37 (ed. Hinschius, S. 126 Z. 8 f.); Ps.-Sixtus II.,ed. Schon, http://www.pseudoisidor.de/html/050_sixtus_magno_munere.htm (ed. Hinschius, S. 193 Z. 13-15); Ps.-Iulius, ed. Hinschius, S. 468 Z. 19 f.

[6] Die in CA 10 aufgeführten Verbrechen decken sich mit denen, die Infamie bewirken, vgl. May, Anklagebeschränkungen, S. 110. Die Gleichsetzung von Infamie und Zeugnisunfähigkeit im westgotischen Recht, auf die May, ebd., Anm. 26 im Anschluß an Zeumer, Geschichte der westgotischen Gesetzgebung 2, NA 24, 1886, S. 98 f. aufmerksam macht, besteht in den CA nicht. Die CA dehnen die Gruppe der Zeugnisunfähigen weit über die der Infamen hinaus aus, indem sie Zeugnis- und Anklageunfähigkeit schon bei der Verwicklung in eine Kriminaluntersuchung eintreten lassen, noch bevor die Schuld erwiesen ist. Außerdem lassen sie nicht einmal unverheiratete oder kinderlose Zeugen zu, vgl. CA 13bis, Z. @@@.

[7] Die Strafe erschien vielen Abschreibern zu hart, sie wurde daher in zahlreichen Handschriften in Exkommunikation bis zur Todesstunde umgewandelt.

[8] Dem Redaktor von Handschriftenklasse L erschien diese Vorschrift bedenklich. Er setzte als Marginalie hinzu: Hoc capitulum non est canonicum, sed a saecularibus legibus sumptum.

© 2005 Karl-Georg Schon
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Zuletzt geändert am 6.7.2005