Projekt Pseudoisidor

Pseudoisidor

Capitula Angilramni

Collectio Danieliana

Pseudoisidor Teil I

Pseudoisidor Teil II

Pseudoisidor Teil III

Sammlung Anselms von Lucca

 

Liber De vita christiana Bonizos von Sutri

IV.10. Die Sammlung des Kardinals Deusdedit

Die 1086/87 abgeschlossene und Papst Viktor III. (1086/87) gewidmete Sammlung des Kardinals Deusdedit ist zusammen mit dem einige Jahre zuvor entstandenen Breviar seines Kardinalskollegen Atto von S. Marco die früheste Kanonessammlung, die von einem "Vertreter gleichsam des inneren Reformerkreises" stammt.[1] Verbreitung und Einfluß beider Sammlungen auf die spätere Kanonistik sind gering. Attos Breviar ist in einer einzigen mittelalterlichen Handschrift (Vat. lat. 586, s. XI) überliefert.[2] Von einem Einfluß von Attos Breviar auf spätere Sammlungen ist nichts zu spüren.[3] Kaum mehr Erfolg war dem Werk Deusdedits beschieden. Neben einer vollständigen mittelalterlichen Handschrift (Vat. lat. 3833, s. XII) kennen wir nur einige Fragmente und eine neuzeitliche Abschrift.[4] Auch der Einfluß der Sammlung war nur sehr begrenzt.[5] Angesichts der Stellung des Autors und der engen Beziehungen seiner Sammlung zu der sehr einflußreichen Sammlung Anselms von Lucca[6] ist dennoch die Frage von Interesse, in welcher Form und in welchem Zusammenhang Deusdedit die CA zitiert. CA-Texte kommen an vier Stellen seines Werks vor: 1,147; 2,24; 4,90; 4,362. 1,147 (CA 37a) stammt ausweislich seiner Textgestalt letztlich aus der 74-Titel-Sammlung. Es ist allerdings wenig wahrscheinlich, daß Deusdedit unmittelbar auf die 74-Titel-Sammlung zurückgegriffen hat. Das 1. Buch seiner Sammlung enthält c. 57-164 eine Reihe chronologisch geordneter echter und falscher Papstdekrete von Clemens I. bis zu Nikolaus I.[7] Die Fragmente aus den Briefen Papst Nikolaus' I. (c. 152-164) am Schluß der Reihe stammen, wie E. Perels gezeigt hat,[8] aus einer Zwischensammlung, die auch Anselm von Lucca benutzt hat. Es liegt daher nahe, daß auch für 1,147 diese Zwischensammlung, die ihrerseits unter anderem auf den Sentenzen fußt, unmittelbare Vorlage gewesen ist. Es ist nicht auszumachen, ob die geringfügigen Unterschiede zwischen Deusdedit und der 74-Titel-Sammlung[9] auf den Autor der Zwischensammlung oder auf Deusdedit zurückgehen.

In 2,24 zitiert Deusdedit c. 23 des 4. Konzils von Karthago der Hispana (= Stat. eccl. ant. c. 14[10]), also eine Quelle von CA 11, und setzt an den Schluß den Hinweis: Similiter Adrianus papa ad Algilramum episcopum cap. XI. Woher Deusdedit an dieser Stelle seine Kenntnisse bezog, ist nicht auszumachen.

Wieder auf eine Zwischensammlung geht 4,90 (CA 20bis) zurück. Dies ergibt sich aus der Inskription mit der Kapitelzählung cap. XLVIII, die in der gleichen Form bei Anselm von Lucca auftaucht.[11] Da Deusdedit und Anselm nicht voneinander abhängig sind,[12] läßt sich die Übereinstimmung nur damit erklären, daß sie beide aus einer gemeinsamen Quelle geschöpft haben.

In 4,362 hat Deusdedit Texte aus den CA zu einem Mosaik-Kapitel verarbeitet, das Ex collectionibus Adriani papae ad Agilramnum inskribiert ist. Es beginnt nicht mit einem Stück aus den CA, sondern mit Ps.-Eleutherus[13], der im ersten Teil des von Deusdedit zitierten Fragments eine Parallele zu CA 24 bietet. Daran schließen sich CA 1bis, 33-36, 38, 41, 45-46, 4bis und 11bisb an. Das Kapitel schließt mit einem nicht identifizierten Text.[14] CA 1bis, mit dem der CA-Teil des Kapitels beginnt, zeigt Merkmale einer Übernahme aus Burchards Dekret 16,6.[15] Da auch die letztlich auf Ps.-Eleutherus zurückgehende Einleitung von 4,362 eine Parallele in Burchard 16,30 hat,[16] ist es nicht unwahrscheinlich, daß der Beginn dieses Kapitels aus Burchard, Buch 16 exzerpiert ist. Wenn diese Vermutung richtig ist, würde nach CA 1bis dann eine Exzerptreihe aus CA 33-11bisb beginnen.

Der Schwerpunkt der CA-Übernahmen liegt bei Deusdedit in Buch 4 De libertate aecclesiae et rerum eius et cleri[17]. Insgesamt 12 CA-Kapitel zitiert der Kardinal in diesem Buch, von denen 11 prozeßrechtlichen Charakter haben. Eigene Veränderungen nimmt Deusdedit zwar gelegentlich vor,[18] aber sie berühren nicht den Sinn des jeweiligen Kapitels, sondern straffen lediglich den Duktus. Deusdedit hat die CA offensichtlich als das angesehen, was sie selbst sein wollen: als eine Art Strafprozeßordnung. Er zitiert – anders als Anselm von Lucca – allerdings nur die praktisch durchführbaren Vorschriften seiner Quelle. CA 13bis ist beispielsweise ausgelassen. Auch dem römischen Kardinal war es wohl zu stark, daß gegen einen Kardinalpriester 44 und gegen einen Kardinaldiakon 26 Zeugen aufmarschieren sollen, bevor es zu einem Urteil kommen kann.


[1] Fuhrmann, Einfluß und Verbreitung 2, S. 522.

[2] Vgl. Pelster, Das Dekret Burkhards von Worms in einer Redaktion aus dem Beginn der gregorianischen Reform, Studi Gregoriani 1, 1947, S. 323, Anm. 4. Fournier, Les collections canoniques romaines, S. 289 und Fournier-Le Bras, Hist. des coll. can. 2, S. 20 kannten das Breviar nur nach dem Druck von A. Mai, Scriptorum veterum nova collectio 6, 2, 1832, S. 60 ff. Wemple, The Codex Holstenianus in Toledo. A Collection of Ninth, Tenth and Eleventh Century Capitularies, Manuscripta 13, 1969, S. 90 ff. machte eine weitere Abschrift des Breviars bekannt.

[3] Vgl. Fournier-Le Bras, Hist. des coll. can. 2, S. 24 f. Weitere Literatur bei Kéry, Canonical Collections, S. 230 ff.

[4] Vgl. Wolf von Glanvell, Die Kanonessammlung des Kardinals Deusdedit 1: Die Kanonessammlung selbst, 1905, S. XIX ff.

[5] Vgl. ebd., S. XXXV ff. und Kuttner, Roman Manuscripts, S. 24 f.

[6] Siehe oben S. @@@.

[7] Folgende Abweichungen von der chronologischen Reihenfolge: c. 74-77 ist zwischen Ps.-Fabianus (ed. Schon, http://www.pseudoisidor.de/html/043_fabianus_divinae_circa_nos.htm [vgl. ed. Hinschius, S. 168 Z. 10-14]) und Ps.-Lucius (ed. Schon, http://www.pseudoisidor.de/html/046_lucius_litteras_dilectioni.htm [vgl. ed. Hinschius, S. 179 Z. 31-180 Z. 3]) eine kurze invertierte Reihe aus Ps.-Anterus (ed. Schon, http://www.pseudoisidor.de/pdf/040_Anterus_Optaveram_fratres.pdf, S. 285 Z. 15f. und S. 285 Z. 22 – S. 286 Z. 27 [vgl. ed. Hinschius., S. 152 Z. 6 f. und 14-19]), Ps.-Annicius (ed. Schon, http://www.pseudoisidor.de/pdf/027_Annicius_Bonorum_operum.pdf, S. 213 Z. 16-26 [vgl. ed. Hinschius, S. 120 Z. 26-121 Z. 6]) und Ps.-Pius (ed. Schon, http://www.pseudoisidor.de/pdf/025_Pius_Gratias_agimus.pdf, S. 204, Z. 22-25 [vgl. ed. Hinschius, S. 117 Z. 3-6]) sowie ein Fragment aus Ps.-Sother (ed. Schon, http://www.pseudoisidor.de/pdf/025_Sother_Divinis praeceptis-1.pdf, S. 220 Z. 2-5 [vgl ed. Hinschius, S. 124 Z. 4-7) eingeschaltet; c. 97 stammt aus c. 1 und 2 des Konzils von Ravenna von 877; c. 99 ist aus Siricius an Himerius von Tarragona (JK 255); c. 109 ist apokryph, wird aber schon in der Collectio Hibernensis 19,1 und bei Burchard von Worms 3,128 als Stück Innocenz' I. ( + 320) ausgegeben; c. 113 stammt aus Augustinus ep. 168; Papst Hilarius (461-468) ist nach Papst Symmachus (498-514) eingeordnet; c. 151 hätte bei streng chronologischer Reihenfolge vor c. 146 stehen müssen.

[8] Vgl. Perels, Briefe Nikolaus' I. II, S. 85 f.

[9] Sancta statt sacrosancta und praesulum Romanorum statt Romanorum praesulum.

[10] Ed. Munier, Statuta, S. 81.

[11] Anselm 4,47 (nicht 3,82, wie Wolf von Glanvell, S. 438 Anm. zu c. 90 angibt), siehe oben S. @@@.

[12] Siehe oben S. @@@ mit den in Anm. @@@ angeführten Titeln.

[13] Ed. Schon, http://www.pseudoisidor.de/pdf/030_Eleutherus_Magno_munere-1.pdf, S. 225 Z. 31-37 (ed. Hinschius, S. 126 Z. 2-9).

[14] Si aliter testes discuti non possunt, separentur ab invicem et singulariter inquirantur. Qui innocentes ad principes vel ad iudices falso accusare convicti fuerint, si clericus fuerit, degradetur, si laicus communione privetur.

[15] Finitivam statt capitalem; idoneos testes (Burchard testes idoneos) statt innocentes testes, vgl. auch Anselm 3,77.

[16] Allerdings ist Burchard 16,30 länger.

[17] Ed. Glanvell, S. 397.

[18] Vgl. besonders Deusdedit 4,362.

© 2005 Karl-Georg Schon
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Zuletzt geändert am 6.7.2005

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