IV.10. Die Sammlung des Kardinals Deusdedit
Die 1086/87
abgeschlossene und
Papst
Viktor III. (1086/87)
gewidmete Sammlung des Kardinals Deusdedit ist zusammen mit dem einige
Jahre
zuvor entstandenen Breviar seines Kardinalskollegen Atto von S. Marco
die
früheste Kanonessammlung, die von einem "Vertreter gleichsam
des
inneren
Reformerkreises" stammt.
Verbreitung und Einfluß beider Sammlungen auf die
spätere
Kanonistik sind
gering. Attos Breviar ist in einer einzigen mittelalterlichen
Handschrift (Vat.
lat. 586, s. XI)
überliefert.
Von einem Einfluß von Attos Breviar auf spätere
Sammlungen
ist nichts zu
spüren.
Kaum mehr Erfolg war dem Werk Deusdedits beschieden. Neben einer
vollständigen
mittelalterlichen Handschrift (Vat. lat. 3833, s. XII)
kennen
wir nur einige Fragmente
und eine
neuzeitliche Abschrift.
Auch der Einfluß der Sammlung war nur sehr begrenzt.
Angesichts der Stellung des Autors und der engen Beziehungen seiner
Sammlung zu
der sehr einflußreichen Sammlung Anselms von Lucca
ist dennoch die Frage von Interesse, in welcher Form und in welchem
Zusammenhang Deusdedit die CA zitiert. CA-Texte kommen an vier Stellen
seines Werks
vor: 1,147; 2,24; 4,90; 4,362. 1,147 (CA 37a) stammt ausweislich seiner
Textgestalt letztlich aus der 74-Titel-Sammlung. Es ist allerdings
wenig
wahrscheinlich, daß Deusdedit unmittelbar auf die
74-Titel-Sammlung
zurückgegriffen hat. Das 1. Buch seiner Sammlung
enthält c.
57-164 eine Reihe
chronologisch geordneter echter und falscher Papstdekrete von Clemens I.
bis
zu Nikolaus I.
Die
Fragmente aus den Briefen
Papst Nikolaus' I.
(c.
152-164) am Schluß der Reihe stammen, wie E. Perels gezeigt hat,
aus einer Zwischensammlung, die auch Anselm von Lucca benutzt hat. Es
liegt
daher nahe, daß auch für 1,147 diese
Zwischensammlung, die
ihrerseits unter
anderem auf den Sentenzen fußt, unmittelbare Vorlage gewesen
ist.
Es ist nicht
auszumachen, ob die geringfügigen Unterschiede zwischen
Deusdedit
und der
74-Titel-Sammlung
auf den
Autor der Zwischensammlung oder auf Deusdedit zurückgehen.
In 2,24 zitiert
Deusdedit c. 23
des 4.
Konzils von Karthago der Hispana (= Stat. eccl.
ant. c. 14),
also eine Quelle von CA 11, und setzt an den Schluß den
Hinweis: Similiter
Adrianus papa ad Algilramum episcopum cap. XI. Woher
Deusdedit an
dieser
Stelle seine Kenntnisse bezog, ist nicht auszumachen.
Wieder auf eine
Zwischensammlung geht 4,90
(CA 20bis) zurück. Dies ergibt sich aus
der Inskription
mit der
Kapitelzählung cap. XLVIII, die in der
gleichen Form bei
Anselm von Lucca
auftaucht.
Da
Deusdedit und Anselm nicht voneinander abhängig sind,
läßt sich die Übereinstimmung nur damit
erklären,
daß sie beide aus einer
gemeinsamen Quelle geschöpft haben.
In 4,362 hat
Deusdedit Texte
aus den CA zu
einem Mosaik-Kapitel verarbeitet, das Ex collectionibus
Adriani
papae ad
Agilramnum inskribiert ist. Es beginnt nicht mit einem
Stück
aus den CA,
sondern mit Ps.-Eleutherus,
der im ersten Teil des von Deusdedit zitierten Fragments eine Parallele
zu CA
24 bietet. Daran schließen sich CA 1bis,
33-36, 38,
41, 45-46, 4bis
und 11bisb an. Das Kapitel schließt
mit einem nicht
identifizierten
Text.
CA 1bis, mit dem der CA-Teil des Kapitels
beginnt, zeigt
Merkmale
einer Übernahme aus Burchards Dekret 16,6.
Da auch die letztlich auf Ps.-Eleutherus zurückgehende
Einleitung
von 4,362
eine Parallele in Burchard 16,30 hat,
ist es nicht unwahrscheinlich, daß der Beginn dieses Kapitels
aus
Burchard,
Buch 16 exzerpiert ist. Wenn diese Vermutung richtig ist,
würde
nach CA 1bis
dann eine Exzerptreihe aus CA 33-11bisb beginnen.
Der
Schwerpunkt der CA-Übernahmen liegt bei Deusdedit
in Buch 4 De libertate aecclesiae et rerum eius et cleri.
Insgesamt 12 CA-Kapitel zitiert der Kardinal in diesem Buch, von denen
11 prozeßrechtlichen
Charakter haben. Eigene Veränderungen nimmt Deusdedit zwar
gelegentlich vor,
aber sie berühren nicht den Sinn des jeweiligen Kapitels,
sondern
straffen
lediglich den Duktus. Deusdedit hat die CA offensichtlich als das
angesehen,
was sie selbst sein wollen: als eine Art Strafprozeßordnung.
Er
zitiert – anders
als Anselm von Lucca – allerdings nur die praktisch
durchführbaren Vorschriften
seiner Quelle. CA 13bis ist beispielsweise
ausgelassen. Auch
dem
römischen Kardinal war es wohl zu stark, daß gegen
einen
Kardinalpriester 44
und gegen einen Kardinaldiakon 26 Zeugen aufmarschieren sollen, bevor
es zu
einem Urteil kommen kann.
Vgl. Wolf von
Glanvell, Die
Kanonessammlung
des Kardinals Deusdedit 1: Die Kanonessammlung selbst, 1905, S. XIX ff.
Si
aliter testes discuti non possunt, separentur ab invicem et
singulariter
inquirantur. Qui innocentes ad principes vel ad iudices falso accusare
convicti
fuerint, si clericus fuerit, degradetur, si laicus communione privetur.
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2005 Karl-Georg
Schon
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Zuletzt
geändert am
6.7.2005
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